Vor genau 175 Jahren trat in der Frankfurter Paulskirche das erste gesamtdeutsche Parlament zusammen. Vorausgegangen waren die Märzrevolution, Barrikadenkämpfe und die Einsicht, dass der Wunsch der Deutschen nach einer Verfassung gehört werden muss. Ein großes Ziel des Paulskirchenparlaments 1848 war die Einigung Deutschlands. Denn Deutschland war noch zersplittert in unzählige kleine und große Territorien, Fürstentümer und Königreiche.

Johann Hinrich Wichern: Oh nein, damit hat der Name nichts zu tun. Als wir 1833 mit der ersten Bauernkate unsere Arbeit in Hamburg begannen, da haben wir diesen Namen schon übernommen. Und Namen soll man nicht ändern. Wie überhaupt - Gott hat diese Welt gut geschaffen, wir sollten so wenig wie möglich daran ändern. Wir sollten Gott stattdessen wirken lassen
Journalist: Warum haben sie das Rauhe Haus gegründet?

Johann Hinrich Wichern: Die Einzelunterbringung statt der Schlafsäle, das wird wohl bleiben. Und auch die Idee, dass man Gefangenen helfen muss, nach der Haft wieder zurückzukehren als vollgültige Mitglieder der Gesellschaft. Auch das wird hoffentlich bleiben. Aber unsere Brüder wurden vom neuen König wieder entlassen. Man wird wieder auf die alten Gefängnisaufseher zurückgreifen.
Journalist: Warum?
Johann Hinrich Wichern: König Friedrich Wilhelm IV. war ein frommer Mann. Der hatte noch einen Glauben! Gott hab ihn
selig! Der neue König Wilhelm I. ist ein Rationalist! Er lässt sich von der Vernunft, statt vom Glauben leiten! Man wirft uns vor, wir hätten in den Gefängnissen missioniert! Doch frage ich sie: Woher soll denn sonst eine Besserung der Gesellschaft kommen!

Journalist: Ein großes Projekt von ihnen blieb immer die Innere Mission!
Johann Hinrich Wichern: Ja, die Innere Mission. Die Aufgabe bleibt. Ich bin durch ganz Deutschland gereist. Habe Vorträge gehalten und Konferenzen besucht.
Journalist: Sie haben 1848 die ganze Kirche aufgeschreckt!
Johann Hinrich Wichern: Habe ich das? Vielleicht habe ich die Kirche wachgerüttelt. Und doch stehen wir noch ganz am Anfang!
Journalist: Was haben sie erwartet?

Journalist: Und war das Rauhe Haus nicht ein großartiger Anfang?
Johann Hinrich Wichern: Rettungshäuser und Heime sind wichtig! Zweifellos! Aber die Kirche verliert weiter den Kontakt zu großen Bevölkerungsteilen! Wir haben noch nicht die Herzen der Menschen erreicht.
Journalist: Ist das nicht zu viel verlangt?
Johann Hinrich Wichern: Viel zu wenig Christen glauben daran! Das ist das Übel unserer Zeit. Ich wollte das Rauhe Haus zu einer Keimzelle für eine neue Kirche machen!
Johann Hinrich Wichern: Genau! Wir müssen mehr sein, als eine traditionelle Kirche! Wir müssen die Kinder vor dem Verfall dieser Gesellschaft retten. Wir müssen unsere ganze Nation retten!
Journalist: Das klingt ein wenig zwanghaft!
Johann Hinrich Wichern: Ich habe immer gesagt, dass die Kinder nur durch Liebe im Rauhen Haus gehalten werden sollen. Durch keinen Zaun, durch keine Mauer und nicht durch Androhung von Strafen! Nur so erreichen wir die Herzen der Kinder! Die Kinder müssen frei entscheiden.
Johann Hinrich Wichern: Jeder Mensch soll sich frei entscheiden, für oder gegen den Glauben, für oder gegen Gott, für oder gegen die Kirche. Unser Herr ist im Himmel, auf Erden müssen wir mit unseren Möglichkeiten und Einsichten entscheiden. Aber wir können uns schon hier und jetzt für das Himmelreich entscheiden!
Journalist: Und, wie würden sie ihren Erfolg sehen?
Johann Hinrich Wichern: Ich hätte nie gedacht, dass das Reich Gottes so kompliziert ist!
Journalist: Vielen Dank für das Gespräch!
Mit der Rede Johann Hinrich Wicherns vor 175 Jahren in Wittenberg begann eine Bewegung, auf die bis heute die Diakonie in Deutschland aufbaut. Insofern können wir sagen: Herzlichen Glückwunsch zu 175 Jahren Diakonie!